Hallo ihr da draußen!
Ich finde es gut, hier über Psycho-Erfahrungen anderer etwas lesen und auch selbst schreiben zu können. Ich habe selbst lange nicht durchgeblickt durch den „Psychomarkt“, für mich waren alle, die mit „P“ anfingen, Psychologen. Ich habe also blind vertraut, hatte keine Ahnung und außerdem ging es mir dreckig und jemand sollte mir helfen.
Das wäre mein erster Rat: Informiert euch über die verschiedenen Angebote und Qualifikationen der Leute, es gibt gute Seiten auch im Internet. Es gibt verschiedene Therapieformen, es gibt Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten und sogar Heilpraktiker, die Psychotherapie anbieten. Da sollte man schon die Unterschiede kennen. Man kann ja auch Vorgespräche führen, abchecken, ob einem die Methode zusagt, die Atmosphäre stimmt und einem der/die Therapeut/in zusagt. Heute würde ich auch immer fragen, was für eine Ausbildung jemand hat, wie er arbeitet und so.
Zu meiner Geschichte: Ich war fast 10 Jahre lang ziemlich durchgeknallt. Als Kind schon irgendwie unglücklich, anders, mir fremd. Mit 14/15 Jahren drehte ich dann wirklich durch: schwarze Klamotten, schwarze Stimmung, Selbstverletzungen, aggressive Ausraster im Wechsel mit traurigen Stimmungen und Selbstmordgedanken. Beziehungen bekam ich gar nicht hin, mein Leben war die Hölle, eine einzige Achterbahnfahrt. In der Schule ging ich kaum noch und wenn, dann konnte ich mich sowie so nicht konzentrieren. Wie auch, wenn man nur Probleme im Kopf hat und das Leben nur aussichtslos erscheint!
Mit meinen Eltern konnte ich sowieso nicht sprechen, die waren immer nur mit sich selbst beschäftigt. Ich fühlte mich unverstanden, ungewollt, abgelehnt – und mich selbst mochte ich schon gar nicht. Ich habe mich dann immer mehr isoliert, Drogen, Alkohol – das ganze Programm. Kopf abschalten! Ich hatte keine Ahnung, warum ich so war. Ich war meistens so verzweifelt, dass ich sterben wollte und auch einige Versuche unternommen habe. Schließlich wollte ich dann aber doch Hilfe. Mein Hausarzt gab mir erst Medikamente, die aber nichts brachten, dann eine Überweisung für die „Klapse“. Dort sagte man mir, dass ich eine „Borderline-Störung“ habe. Punkt. Ich bekam andere Medikamente, hatte auch Gespräche, die aber nichts brachten. Vielleicht war ich auch einfach noch nicht so weit.
In der Klinik ging es mir meistens (ich war einige Male dort) relativ gut, da waren nette Menschen, ich war nicht allein. Einige Gespräche gab es auch, aber verstanden habe ich nichts. Außerhalb der Klinik war dann immer schnell wieder alles wieder wie vorher – auch ich, leider. Meine „Therapie“ draußen bestand in unregelmäßigen Besuchen bei einem Psychiater, der mir hauptsächlich immer neue Medikamente verschrieb. Gespräche über Ursachen meiner Erkrankung gab es nicht. Damals dachte ich, dass es eben so ist, und ich ein hoffnungsloser Fall bin, eine „Verrückte“. Ich war so verzweifelt, dass ich tatsächlich Angst um mich bekam. Ich las alles über Borderline-Störungen, war nächtelang in Foren im Internet unterwegs, irgendwie auf der Suche nach einem Ausweg aus meinem Gefängnis, auf der Suche nach mir.
Bei irgendeinem meiner zahlreichen Aufenthalte in der Psychiatrie, geriet ich an einen jüngeren Psychologen oder Psychiater, ich weiß es nicht mehr. Der war ganz verwundert, wie wenig ich über mich und die Ursachen meiner Erkrankung wusste. Er fragte viel und ich machte mir das erste Mal Gedanken über mich und meine Familie: Ich komme aus einer ziemlich zerrütteten Familie, hatte allerlei „Unerfreuliches“ erlebt. Das hatte ich aber nie als Ursache meiner „Verrücktheit“ in Betracht gezogen, für die anderen und auch für mich selbst war ich einfach so, aus der Art geschlagen, durcheinander, Basta! Durch die vielen Fragen und Gespräche bekam ich erstmals eine Idee davon, dass das Ganze – Ich – einen Sinn haben könnte, erklärlich sein könnte. Das erste Mal schöpfte ich ein wenig Hoffnung. Zu dieser Zeit – damals war ich 20, war ich schon vier Jahre krank und in „Behandlung“.
Jedenfalls wollte ich dann unbedingt eine Therapie machen und machte mich auf die Suche. Aus der Klinik hatte ich Adressen mitbekommen. Meistens war der Anrufbeantworter dran (ich konnte damals einfach nicht drauf sprechen) oder ich hörte, dass kein Platz frei sei. Ich war derartig entmutigt, dass ich immer wieder lange Pausen einlegte. Schließlich klappe es aber doch, und ich hatte sogar zwei Termine für Erstgespräche. Nach dem ersten Gespräch meinte der Therapeut, dass er mich nicht nehmen könnte. Warum, habe ich nicht verstanden. Vermutlich habe ich auch nicht nachgefragt. Dann gab es noch einige Gespräche mit anderen Therapeuten, wo es (ich?) auch nie passte. Ich fühlte mich wie eine Versagerin, selbst für eine Therapie zu schlecht, nicht geeignet, zu krank? Aber ich habe mich immer wieder hochgerappelt und habe dann doch noch einen Therapeuten (Psychoanalytiker) gefunden, der mich genommen hat. Der hat erst einmal ziemlich viele Regeln aufgestellt, zum Beispiel dass ich möglichst keinen Alkohol trinken soll und wenn, dass ich es erzählen soll. Wenn ich mal eine Stunde verpasste, musste ich etwas zahlen usw. Mir kam das sehr streng vor, aber im Nachhinein betrachtet, hat es mir auch irgendwie gefallen. Ich hatte das Gefühl, dass sich endlich mal einer um mich kümmert und mich ernst nimmt. Ich hatte lange eine Stunde in der Woche, wo es vor allem um meine diversen Probleme (Schulabbruch, Wohnen, kein Geld usw.) ging. Irgendwie hat sich mein Leben dann nach und nach geordnet. Ich habe dann sehr viel erzählt und immer mehr begriffen, mit welchen Belastungen ich als Kind aufgewachsen war, und dass ich eigentlich keine Chance gehabt hatte, mich gesünder zu entwickeln. Irgendwann kamen dann auch die Gefühle zurück (ich hatte tatsächlich lange Zeit keine und lief wie ein Zombie durch die Gegend), ich war monatelang traurig, wütend usw. Mittlerweile ging ich dreimal in der Woche zu meinem Therapeuten, was sehr gut und intensiv war. Und irgendwie hat sich meine Stimmung nach und nach zum Guten verändert, ich bekam wieder Interesse am Leben und an anderen Menschen.
Heute geht’s mir meistens gut. Und wenn nicht, dann kann ich auch damit besser umgehen. Ich bin dankbar, dass ich heute sehr gute Freunde habe, den Sommer genießen kann. Ich arbeite, höre Musik, gehe aus. Alles ganz normal :-), aber für mich immer noch wie ein Wunder. Kann nur jedem raten, dem es schlecht geht: Gebt euch nicht auf!!!
Übrigens: Borderline heißt einfach Grenze. Mein Therapeut meinte, dass sei ganz „normal“, dass man Probleme mit seinen Grenzen hat, wenn die eigenen immer verletzt wurden. Er war der erste, der mir gesagt hat, dass ich normal bin, dass ich mich nur einer ungesunden Umgebung angepasst habe und deshalb krank geworden bin. Das war wie eine Erlösung von einem Fluch. Und seit ich diese, meine Grenzen, spüre und verteidigen kann, bin ich auch dieses blöde Etikett los. Darüber sollte man auch mal sprechen, was das mit einem Menschen macht, wenn man so eine Diagnose vorgeknallt kriegt. Für mich war das wie Hirnkrebs, unheilbar und tödlich. Aber ich lebe:-)